Emotionales Essen - Teil 2: Entstehung und Erklärung von Emotionalem Essverhalten

Emotionales Essen ist im Erwachsenenalter stärker ausgeprägt als im Kindesalter, Frauen sind häufiger betroffen als Männer, und es entwickelt sich überwiegend in der Phase der Adoleszenz.

Eine genetische Prädisposition wie eine Störung im Serotonin, oder Dopaminhaushalt, sowie eine genetische Veranlagung bittere Geschmacksstoffe vermehrt wahrzunehmen, kann bei vielen Emotionalen Essern beobachtet werden.

Auch Umweltfaktoren wie das soziale Umfeld und die Erziehung haben Einfluss auf unser Essverhalten. Beginnend bei fehlinterpretierten Hungergefühlen im Säuglingsalter, wie Stillen bei Erregung des Kindes, bis hin zu antrainierten Essgewohnheiten im familiären Gefüge, wie Essen vor den Fernseher, lehren unserem Gehirn ein bestimmtes Essverhalten im Kindesalter.

Hierbei kommt es zu einer Störung der Interozeptiven Wahrnehmung des Kindes. Dies bedeutet, dass eine verwirrende Konditionierung beim Kind stattfindet. Das Kind hat nicht gelernt zwischen unangenehmen Empfindungen und Hunger-, oder Sättigungsgefühlen zu unterscheiden, und reguliert seine Bedürfnisse somit fälschlicherweise über den Konsum von Nahrung.

 Auch kulturelle Einflüsse, wie die permanente Verfügbarkeit von Lebensmitteln in reichen Ländern, die hohe Stressbelastung in westlichen Kulturen, sowie die Manipulation unseres Hungergefühls durch Werbung, sind zentral in unserer Gesellschaft.

Warum essen wir aufgrund von Emotionen?

Eine Hauptannahme liegt darin, dass emotionales Essen in Stressituationen emotionale Belastung reduziert. (Konttinnen, Männistö et al., 2010; Vögele & Gibson, 2010)

Aber warum ist das so?

Unser Essverhalten steht in starker Verbindung mit unserer psychischen Gesundheit.

Das ist kein Geheimnis - aber welche Emotionen genau, und vor allem welche Motivationen dahinter stehen, sind individuell. 

Die Zusammenhänge bei sich selbst zu erkennen und zu verstehen ist ein Schlüsselpunkt zum erfolgreichen Handling bei Emotionalen Essern.

Untersuchungen ergaben, dass sowohl akute als auch länger anhaltende Stresssituationen zu einem erhöhten Cortisol-Spielgel und zu mehr Esskonsum führen. Kohlenhydratreiche Nahrung hat eine Senkung des Cortisol-Spiegels und somit zu eine Stimmungsverbesserung zur Folge. Wenn es mir emotional schlecht geht, helfe ich mir selbst mit Essen.

Im Groben unterscheidet man Physiologische und Psychologische Mechanismen, welche dem Emotionalen Esser eine Möglichkeit zur Emotionsregulation bieten.

Physiologische Mechanismen

Durch fett- und kohlenhydratreiche Nahrung werden Hungergefühle herabgesetzt und stimmungsaufhellende Gefühle getriggert.

Vereinfacht gesagt: Der Parasympathikus überträgt Sättigungssignale aus dem Darm an unser Gehirn. Eine kurzfristige Stimmungsaufhellung, wie zum Beispiel ein Ausgleich von evtl. Dopaminmangel ist die Folge. Unsere Stimmung wird zufriedener und glücklicher.

Psychologische Mechanismen

Beim Aufkommen eines negativen Gefühls versuchen Betroffene dies zu unterdrücken, und essen vermehrt. Um die aufkommende Negativität mit einem positiven Belohnungsmechanismus zu überlagern wird „in-Sich-rein-gefressen“. Hierbei funktioniert das Essen als Ablenkung. Negative Emotionen werden erst gar nicht zugelassen und eine Art Vermeidungsstrategie wird an den Tag gelegt.

Das Gehirn lernt hierbei, dass Essensaufnahme und deren Auswirkungen, wenn auch nur kurzfristig, positive Emotionen hervoruft. Somit verlangt der Körper irgendwann immer öfter nach dieser Stimmungsaufhellung. Eine Art Abhängigkeitsverhalten entsteht, ähnlich wie bei Rauchern, oder Süchtigen.

Essen wird als Belohnungsmechanismus, mit der Methode der Positiven Verstärkung, oder als Vermeidungstaktik instrumentalisiert. 

Soziale Mechanismen

Außerdem beobachten Forscher einen deutlichen Zusammenhang zwischen Essverhalten und Sozialem Gefüge. Auch hier spielt wiederum das Streben nach der Erfüllung der Grundbedürfnisse eine große Rolle (Teil 1). Essen aus sozialer Verbundenheit hat oft den Hintergrund des Strebens nach Akzeptanz und Anerkennung im sozialen Verbund, seien es Familie, Kollegen oder Freunde.

Welche Emotionen beeinflussen unser Essverhalten?

Untersuchungen ergaben einen deutlichen Zusammenhang von Emotionen und Essverhalten. Es stellte sich demnach heraus, dass eine wechselseitige Beeinflussung von Emotionen und Essverhalten vorherrscht. Dies bedeutet, dass Emotionen das Essverhalten fördern oder reduzieren können, aber genauso kann das individuelle Essverhalten Emotionen auslösen oder sie dämpfen.

Macht (2008) fasste die Auswirkungen von Emotionen auf das Essverhalten in einer empirischen Studie in Abhängigkeit von Persönlichkeitsmerkmalen zusammen.

Demnach wird deutlich, dass Emotionen unser Essverhalten in unterschiedlicher Weise beeinflussen.

Emotionen von mittlerer Intensität und Erregung, wie zum Beispiel Langeweile, Freude, Lethargie, Geselligkeit usw. enthemmen die Nahrungsaufnahme, sodass zum Einen mehr, und zum Anderen ungesünder gegessen wird. Diese Erkenntnis spielt eine zentrale Rolle im alltäglichen Essverhalten, da es sich hier um Emotionen handelt, welche uns in ihrer Häufigkeit sehr oft im Tagesverlauf tangieren.

Emotionen mit hoher Intensität wie Aggression, Angst oder starke Trauer drosseln hingegen unser Essverhalten.

Ausserdem zeigt eine Feldstudie (O‘ Connor et al, 2008), dass vor allem Frauen, Übergewichtige und Menschen mit subjektiver emotionaler Belastung, mehr zuckerhaltige und fettreiche Snacks aßen, als Männer und Personen mit subjektiv weniger emotionaler Belastung.

Um belastendes, emotionales Essverhalten zu verstehen und verändern zu können, ist es unabdingbar diese Zusammenhänge bei sich selbst zu erkennen. 

Was löst unkontrolliertes Essverhalten bei mir aus, und warum? 

Sich in restriktive, gezügelte Essgewohnheiten zu zwängen, ohne die Gründe/ Motivationen des eigenen Essverhaltens zu verstehen, kann dann nur partiell oder zeitweise erfolgreich sein.

 

Der Einfluss des Essverhaltens auf die Emotionen

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Auch in umgekehrter Weise lassen sich Zusammenhänge zwischen Essverhalten und Emotionen erkennen. 

Hierbei spielen externe Einflussfaktoren wie Beschaffenheit der Nahrung, sozialer Kontext, und interne Einflussfaktoren wie die Erwartung, dass bestimme Speisen bestimmte Gefühle hervorrufen, eine zentrale Rolle. Oma’s Apfelkuchen zum Beispiel ruft demnach vergangene Gefühle von Geborgenheit und Sicherheit hervor.

Der Komsum von besonders kalorienreicher Nahrung, wie Schokolade, zeigt in einer Studie bei einigen Normal- und Übergewichtigen Frauen eine negative essbezogene Verbindung von Kalorienreicher Nahrung und Schuldgefühlen. (Gibson, 2006; Vögele & Gibson, 2010). 

Diese Verbindung könnte sehr stark mit unserem heutigen Schönheitsideal und kulturellnen Verständnis von Schlankheit und Gewicht zusammenhängen. Schon während des Konsums solcher Lebenmittel stellt sich bei vielen Personen ein schlechtes Gewissen ein.

 

 „Ich bin inkonsquent, nicht stark genug, um den Versuchungen zu widerstehen und erhalte sogleich die Quittung auf meinen Hüften“

 

 „Ich bin ja selbst schuld“

  

Meines Erachtens, liegt genau hier ein Knackpunkt im Prozess zur Findung eines individuell gesunden Essverhaltens. Nicht das Verteufeln und „Sich-Verbieten“ bestimmter Lebensmittel, aufgrund Gesellschaftlicher Normen, sonderen vielmehr das Verständnis und die Entkoppelnug von Essen und Schuldgefühlen ist ein unbedingter Faktor im Erlernen eines gesunden Essverhaltens.

Ein weiterer interessanter Faktor sind Verknüpfungen von Sättigungsgefühlen mit Zuständen der Ruhe, Trägheit und Zufriedenheit, während Hungergefühle vielmehr mit Angespanntheit oder Gereiztheit einher gehen (Vögele & Gibson, 2010). Die sensorische Ablenkung während, als auch der metabolische Effekt nach der Nahrungsaufnahme, lösen positive neurochemische Veränderungen im Gehirn aus, wie die Ausschüttung von Glücks- und Sättigungshormonen.

Dies erklärt, warum wir Essen und Nahrungsaufnahme dazu verwenden uns besser zu fühlen, und uns durch Essen selbst, positive Emotionen bereiten.

 

Fazit

Emotionales Essen wird in erster Linie bei mäßig- negativen Emotionen beobachtet, jedoch auch durch kurze oder langanhaltende Stressoren, sowie unerfüllte Grundbedürfnise verstärkt.

Gehäuft sind Emotionale Esser durch Kultur, Erziehung und genetische Faktoren prädispositioniert. Das Emotionale Essen dient dazu, sofort positive Emotionen zu erzeugen, von negativen Empfindungen ab zu lenken, und sie zu reduzieren.

Die langfristigen Folgen des Emotionalen Essverhaltens sind Übergewicht und Gewichtsbezogene Probleme- emotional, wie physisch. 

Außerdem hemmt emotionales Essen konstruktive Bewältigungsstrategien, und führt zu einer Unfähigkeit mit emotionalen Belastungen umzugehen.

Im folgenden Teil 3 erfahrt ihr mehr über Achtsamkeitsbasierte Ansätze zur Bewältigung von emotionalem Essverhalten.

 

 

Quellen:

https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/opus4-wuerzburg/frontdoor/deliver/index/docId/13879/file/dissertation_herber_kristina.pdf

Konttinnen, Männistö et al. (2010)

Gibson (2006)

Macht (2008)

Feldstudie (O‘ Connor et al, 2008)

Vögele & Gibson (2010)